Matthias Jung


 

FeedWind

Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Fremde Schönheit Schöpfung.

Predigt über Genesis 1/2

 

Gänseblümchen

(Die Fotos von den Gänseblümchen habe ich am Nachmittag
nach dem Gottesdienst fotografiert.)

 


Liebe Gemeinde,

wie predige ich über einen Text, den Sie alle bestens kennen?

Kaum eine biblische Geschichte ist in ihren Grundzügen so bekannt wie die Schöpfung in sieben Tagen. Vielleicht noch die Geschichte von Noah und der Sintflut und die Weihnachtsgeschichte. Jedes Kind hört irgendwann davon und tief prägen sich die Bilder in unsere Herzen ein.
Worüber predigen?

Über die scheinbar schöne Ordnung, dass hinter all unserem menschlichen Chaos doch eine ruhige Hand Gottes steht, die alles fein eingerichtet hat? Aber wie passt das dann zu den Erkenntnissen der Naturwissenschaft, die uns andere Geschichten erzählen?

Über den Auftrag zu herrschen, den wir gerne angenommen haben und inzwischen sehen, wohin wir damit gekommen sind? Umweltzerstörung und -verschmutzung, Überbevölkerung usw., doch was soll ich dazu noch Neues sagen?

Über den Ruhetag, den siebten Tag und die Frage was bedeutet das denn für uns heute? Soll ich wieder einmal den Finger heben und sagen: Lasst den Sonntag in Ruhe und die Läden geschlossen? Verzichtet auf die Brötchen und den verkaufsoffenen Sonntag?
Tausendmal gehört. Tausendmal ist auch was passiert, diese Fragen und Probleme werden überall diskutiert. Soll ich also das noch mal wiederholen? Manchmal sind Wiederholungen ja wichtig. Klingt trotzdem langweilig.

Ich habe mich gefragt, wo könnte dieser Text überraschen? Konkreter: wo überrascht er dich?
Eine Antwort darauf zu finden, war nicht einfach, weil ich ja wie Sie viele Gedanken, Bilder Erinnerungen vor Augen habe. Dazu kommt mein theologisches und biblisches Wissen zu diesem Text. All das zusammen beginnt sofort in meinem Kopf zu rattern, gelernt ist gelernt. Zunächst musste ich mir eingestehen: So wirklich überraschen tut mich da gar nichts. Aber das ist nicht gut. Denn so kann nichts mehr passieren. Als ich so weit war, habe ich mich gefragt: Wie könnte dieser so vertraute Text mir fremd werden?

Irgendwann hatte ich einen Gedanken, ein Bild vor Augen. Ich habe mir vorgestellt: Ich bin ein fünfjähriges Mädchen, Ruth, und höre in unserem Kindergarten an der Rönskenstraße zum allerersten Mal in meinem Leben diese Geschichte. Ich sitze mit anderen auf der Wiese jetzt im Frühling. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern, die Bäume blühen und die ersten Frösche quaken im Teich. Gabi, meine Gruppenleiterin, erzählt uns den Text in ihren Worten. Und ich habe überlegt, wie könnte ein kleines Kind diese Geschichte hören, was fällt ihr ein, wenn die Bilder vor ihren Augen aufsteigen?

 

Gabi erzählt: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Alles war dunkel und auf der Erde lag Erde, alles durcheinander herum. Nur Gott selbst war da.

(Ruth:) Am Anfang liegt alles herum. Wie ein Haufen Legosteine auf dem Boden, nachdem ich die Kiste ausgekippt habe. Und dann fange ich an zu bauen. Ein Haus. Ein Auto. Einen Zaun. Und ich setze die Figuren hinein. Wow, aus einem Haufen bunter Legosteine entsteht mit meinen Fingern eine ganze Landschaft. Das ist toll und ich bin groß und stolz.

Gabi erzählt weiter: Und Gott machte zuerst das Licht, hell und dunkel, Tag und Nacht. Sonne und Mond.

Morgens geht die Sonne auf und abends unter. Dann kommt der Mond. Und scheint durch die Ritzen des Rolladen in mein Zimmer. Dann habe ich keine Angst. Nur wenn den Sturm ums Haus bläst und es stockfinster ist. Dann laufe ich zu Mama und Papa ins Bett. Danke, Gott, für das Licht in der Nacht und für die Sonne, sie ist so schön warm, wie die Hand von Mama auf meinem Gesicht streichelt sie mich.

Und Gott formte die Erde und die Ozeane, die Tiere und die Blumen. Und er hatte viel Spaß daran, jedes Tier und Blume schön zu machen. Auch das Gänseblümchen, von dem euch Pfarrer Jung letzte Woche in der Kirche erzählt hat.

»Das Gänseblümchen hat einen Bart«, das hat der Pfarrer Jung gesagt und der muss es wissen, der ist ja ganz nah bei Gott. Und er hat es uns gezeigt und ich habe den Bart gesehen, ganz feine Barthaare, nicht so wie die von Papa, so stachelig. »Guckt euch alles ganz genau an«, hat er gesagt, »ihr habt die Lupen im Kindergarten.« Hab ich gemacht, mit Ralf, den Löwenzahn haben wir uns angeguckt und die Ameise und und und... Als Mama kam, wollte ich gar nicht nach Hause...

Schließlich machte Gott Mann und Frau und setzte sie auf die Erde. Und er gab ihnen die Liebe und die Möglichkeit, Kinder zu bekommen. Und wir Menschen sollen gut auf die Erde aufpassen, hat Gott noch gesagt, stellt euch vor, ihr wärt Königinnen und Könige und die ganze Erde euer Königreich.

Ich bin eine Königin und das ist mein Reich, der Garten hier und die Legoecke und mein Zimmer mit den Stofftieren. Und ich bin eine gute Königin. Damit alle es gut bei mir haben. Das hat Gott sich schlau ausgedacht, dass wir alle Königinnen und Könige sein sollen. Ja, ich will eine gute Königin sein. Gott soll zufrieden mit mir sein.

Sechs Tage braucht Gott, um die ganze Welt zu schaffen. Und am siebten Tag ruhte er sich aus.

Gott war bestimmt sehr müde. Wenn ich aus der Sandkiste komme, bin ich auch ganz müde. Wie hat Gott sich wohl ausgeruht? Hat er ein Sofa wie Mama? Oder einen Schaukelstuhl wie Opa? Oder saß er auf dem Balkon und rauchte eine Zigarette wie Tante Britta? Hm... Ich glaube, er hat sich auf die Wiese gelegt und die Augen zu gemacht. Den Vögeln zugehört und den Fröschen. Und hat übers ganze Gesicht gestrahlt. So richtig zufrieden.

 

So weit mein Versuch. Ob er gelungen ist oder nicht – ich weiß es nicht. Aber eins ist mir beim Ausdenken aufgefallen: Wenn ich versuche, die Geschichte mit den Augen eines Kindes zu sehen und mit seinen Ohren zu hören, dann merke ich: Es geht hier ums Staunen.

Die Schöpfungsgeschichte will nicht die Welt zu erklären. Will auch keine Gesetze, Ordnungen oder Regeln beschreiben, die Gott erlassen hat. Und schon gar nicht will diese Geschichte mit dem moralischen Zeigefinger winken, ihr bösen Menschen, was habt ihr bloß aus Gottes guter Welt gemacht... All das lesen wir Erwachsene schon mal in diesen Text hinein, weil wir es mal so gehört haben. Aber eigentlich geht es nur ums Staunen, vom Anfang bis zum Ende eine Anleitung zum Staunen.

Mit Kinderaugen hinschauen, und boah....! das Gänseblümchen hat einen Bart, Wahnsinn!! Wozu braucht es den denn? - Mama und Papa lieben sich, wie schön. Was ist das eigentlich, Liebe? Und wie geht das? - Ich bin da, ist das nicht unglaublich, wieso bin ich eigentlich da und nicht nicht da?

Staunen macht mir die Dinge – fremd. So, als hätte ich sie noch nie gesehen. Oder zumindest noch nie aus dieser Perspektive. Dann nehem ich die Lupe und lege mich auf die Wiese und betrachte die Ameise. Oder nehmen Sie mal heute Mittag ein Gänseblümchen und betrachten sich den Bart. Wenn Sie dann nicht anfangen zu staunen und mit dem Kopf zu schütteln und sagen, ist das nicht unglaublich...?, dann weiß ich es auch nicht.

Diese Geschichte vom Anfang der Bibel, die erzählt, wie das war, als Gott die Welt geschaffen hat, diese Geschichte möchte mir diese mir so vertraute Welt wieder fremd machen. Ich soll sie mit neuen Augen sehen und anfangen zu staunen.

Denn Staunen ist der Beginn des Glaubens, hat Dorothee Sölle einst gesagt. Recht hat sie. Und deswegen haben die, die sonntags in den Wald gehen und sagen, das ist mein Gottesdienst, da bin ich Gott nahe, sehr wohl recht. Im Wald kann der Glaube beginnen, geweckt werden, durch die Wunder der Natur. Wenn ich achtsam hindurchgehe und höre und sehe und rieche und schmecke. Und staune.

Ohne Staunen ist unser Glaube eine ziemlich blutleere Angelegenheit. Im Staunen ist der Glaube noch nicht »fertig«, aber er beginnt und und lässt uns Fragen stellen, auf die Jesus uns dann Antworten gegeben hat. Und er hat es genauso gemacht, seht die Lilien auf dem Feld, wir haben es vorhin gehört.

Mit Staunen beginnt der Glauben, hat Dorothee Sölle gesagt. Recht hat sie.

Amen.

Gänseblümchen